CLASSICS
911 Carrera 3.0 –
Mezgers Herzstück fährt
wieder auf der Straße
Er wollte seinen 911 Carrera 3.0 bald wieder auf die Straße bringen. Doch Hans Mezger kam nicht mehr dazu. Ein Jahr nach seinem Tod hat ihm Sohn Oliver diesen Wunsch erfüllt.
Schon lange bevor sein Vater zu Hause angekommen war, hörte ihn Oliver Mezger. Die Familie wohnte am Berg, 18 Prozent Steigung führten zum Haus. Wenn Hans Mezger lange im Büro war und sein Sohn noch im Bett wach lag, brauchte der Junior nur den Sound des Sechszylinder-Boxermotors zum Einschlafen. Des Motors, den sein Vater konstruierte. „Spätestens, als er oben angekommen war, bin ich eingeschlafen. Mein Vater hat unter der Woche sehr viel gearbeitet, aber der Sonntag war ihm heilig, der gehörte der Familie“, erinnert sich Oliver Mezger. Ab und an fielen Formel-1-Rennen auf den heiligen Sonntag, also durfte der Sohn mit an die Rennstrecke. „Meine Schwester und ich hatten nie das Gefühl, zu kurz zu kommen. Wenn unser Vater zu Hause war, dann war er das zu 100 Prozent“, sagt er. Hans Mezger sei sehr ausgeglichen gewesen, er hatte eine unspektakuläre Ader.
Mit Porsche haben auch seine Kinder stets viel Positives verbunden. „Ich fand es unglaublich spannend, wenn er Auswertungen von Prüfstandsläufen mit nach Hause brachte“, erzählt der 57-Jährige, der auch ab und an mit zur Teststrecke nach Weissach durfte. „Die Teams waren klein, mein Vater arbeitete mit 20 bis 25 Leuten eng zusammen, das war eine eingeschworene Mannschaft. Der Begriff ›Porsche-Familie‹ kommt nicht von ungefähr. Oft saßen sie abends noch zusammen und brüteten gemeinsam über Ideen.“
Hans Mezger galt als Motorenpapst bei Porsche. Er entwickelte den luftgekühlten Sechszylinder-Boxermotor des 911 und den Zwölfzylinder des 917, der Le Mans gewann. Er brachte den Turbo auf die Rennstrecke und später in die Serie. Mit seinem TAG-Turbo wurden Niki Lauda und Alain Prost Formel-1-Weltmeister. Im Oktober 1979 kaufte er sich einen 911 Carrera 3.0 in Grandprix-Weiß, der als Testfahrzeug in Weissach lief. Und behielt ihn ein Leben lang.
Testfahrzeuge zu verkaufen
Als sparsames Unternehmen verkaufte Porsche zum damaligen Zeitpunkt noch alle Fahrzeuge, die im Versuch gelaufen waren. Ähnlich lief es nach Rallye-Einsätzen, bei denen die Fahrzeuge teilweise direkt nach der Zieldurchfahrt den Besitzer wechselten. Der Carrera 3.0 mit 200 PS wurde im April 1977 erstmals mit Versuchskennzeichen im öffentlichen Straßenverkehr bewegt. Hans Mezger kaufte ihn nach einer Fahrleistung von 27.540 Kilometern für 22.400 DM plus 13 Prozent Mehrwertsteuer.
Bei der Übergabe erhielt er einen neuen Tacho mit Kilometerstand 0. Knapp 40 Jahre später blieb der Tacho bei 10.601 Kilometern stehen. Hans Mezger fuhr seinen 911 Carrera 3.0 regelmäßig bei schönem Wetter zu Ausflugszielen ins Stuttgarter Umland. Eines seiner beliebten Ausflugsziele war das Seeschloss Monrepos, bei dem er gern für einen Kaffee stoppte. Da Mezger stets das aktuellste Modell aus der Baureihe 911 fuhr, bewegte er seinen weißen Carrera 3.0 jährlich nur wenige hundert Kilometer.
Historisches Kennzeichen mit Hindernissen
Im Oktober 2008 wollte Mezger für seinen Elfer ein historisches Kennzeichen beantragen. Dabei gab es Probleme, da der Porsche seit April 1977 als Testfahrzeug in Weissach gelaufen war, aber erst im August 1979 ein Vollgutachten für die reguläre Zulassung erstellt wurde. Das kam dem TÜV spanisch vor, die historische Zulassung wurde erst einmal verweigert. Daraufhin schrieb Klaus Bischof, der damalige Leiter des Porsche Museums, eine Stellungnahme und Erklärung für den TÜV. Seinem Brief fügte er folgenden Satz bei: „Herr Hans Mezger ist übrigens unter anderem der Chefkonstrukteur des Porsche-911-Motors.“
In einem der letzten Interviews, die Hans Mezger vor seinem Tod führte, sprach er davon, dass er seinen Elfer bald wieder auf die Straße bringen wolle. Es galt, ein paar Kleinigkeiten zu richten, nachdem das Fahrzeug ein paar Jahre lang nicht bewegt wurde. Hans Mezger schaffte es leider nicht mehr. Er starb am 10. Juni 2020 im Alter von 90 Jahren. Zu seinem ersten Todestag ließ Oliver Mezger den Elfer wieder flottmachen. „Das Fahrzeug soll in Familienbesitz bleiben und zu besonderen Anlässen gefahren werden. Ich werde meinen Vater damit am Friedhof besuchen und ganz sicher auch eine Ausfahrt zu seinen Ehren ins Porsche Museum machen“, erzählt Mezger. „Vielleicht fahre ich damit auch mal nach Zell am See.“
Der Porsche-Sound in Zell am See
Früher ist die Familie Mezger jeden Sommer nach Zell am See gefahren. Die Fahrt dorthin im Elfer samt Dachgepäckträger sei immer das Highlight des Urlaubs gewesen, erinnert sich Oliver Mezger. „Jetzt gibt es dort einen Tunnel, in den 1970er-Jahren stand von der Saalfeldener Seite kommend eine riesige Granitsteinwand in Zell am See“, erzählt Mezger. „Die Wand hat den luftgekühlten Porsche-Sound so dermaßen reflektiert und verstärkt, dass der Innenraum des Porsche fast gebebt hat, das werde ich nie vergessen.“ Ab diesem Moment wussten die Kinder auf den Notsitzen hinten: noch fünf Minuten bis zum Ziel.
Ebenfalls schöne Erinnerungen hat Mezger an die 50 Jahre alte Uhr seines Vaters, eine Zodiac Astrographic SST mit transparenter Acrylglasscheibe und scheinbar aufgedruckten Zeigern. Die Uhr ist eine Reminiszenz an das Weltall. „Ich habe schon als Kind überlegt, ob sie per Magnetismus funktioniert. Mich fasziniert sie noch heute, die Zeiger fliegen im Nichts wie Raumschiffe, die Sekunden werden durch eine rote Kugel angezeigt, alles ist dem Gestirnlauf nachempfunden.“
Die Uhr war ein Geschenk eines Sponsors der CanAm-Rennserie in den 1970er-Jahren. In den Jahren 1972 und 1973 startete Porsche dort mit den Modellen 917/10 und 917/30. Dem Team um Hans Mezger war es gelungen, der Turboaufladung ein Ansprechverhalten zu verleihen, mit dem Rennwagen und Serienfahrzeuge auf allen Rennstrecken und öffentlichen Straßen eingesetzt werden konnten. Eine Technologie, die Porsche zum Vorreiter auf diesem Gebiet macht und die 1974 in Gestalt des 911 Turbo auf die Straße kommt.
Oliver Mezger trägt die Uhr am liebsten, wenn er mit dem Carrera 3.0 unterwegs ist. Dann fahren viele Erinnerungen mit. Ohnehin findet er, dass sein Vater auch ein Jahr nach dessen Tod sehr präsent sei, viele Menschen sprechen über ihn, es gibt Podcasts, in denen seine Stimme zu hören ist, Videos, in denen er referiert. „Der Grad der Lebendigkeit ist mit solchen Erinnerungsstücken ein ganz anderer als ohne.“ Und dann fahren noch jede Menge Porsche umher, von denen der Mezger-Sound zu hören ist. In jeder Kurve – und bei Bergen mit 18 Prozent Steigung ganz besonders.
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 20.
Autorin: Christina Rahmes
Fotografie: Berlin Motor Books & Archiv Oliver Mezger