DER CLUB
Review zum
Motorsportstammtisch mit
Kurt Ahrens
Motorsport-Stammtisch mit dem einstigen Porsche-Werksfahrer Kurt Ahrens am 20.07.2023
„Ich war Privatfahrer und habe deshalb überlebt“. Rennfahrer-Legende Kurt Ahrens zu Gast beim WAC
Wolfgang Ziegler, Vorstand des Solitude Revival e.V. begrüßte den aus Braunschweig mit Ehefrau Resi zum WAC-Motorsport-Stammtisch angereisten Gast. Unter den weit über 50 im Großen Saal gespannt wartenden Zuhörern befanden sich auch die Rennfahrer-Kollegen Hans Herrmann und Dieter Glemser. Und man wurde nicht enttäuscht: Der 83-Jährige lies durch einen kurzen Film und zahlreiche, oft bisher unbekannte Fotos das dramatische Rennsport-Geschehen von 1958 bis 1970 wieder lebendig werden. Kurt Ahrens Fahrer-Karriere begann in den kleinen Formel Junior-Flitzern mit maximal 100 PS und endete bei den 600 PS starken Porsche 917-Monstern, die mit ihren Spitzengeschwindigkeiten von knapp 400 km/h kaum zu bändigen waren.
Gleich am Anfang seines spannenden Vortrags umreißt Ahrens die Grundprinzipien seines Rennfahrer-Lebens: „Ich fuhr einfach gerne und brauchte deshalb keine Verträge“. Motorsport findet deshalb nur am Wochenende „als Urlaub“ statt. Zu Hause warteten die Firma seines Vaters und eine Familie mit drei Kindern. Der Start an einem mehrtägigen Event wie die Targa Florio auf Sizilien ist für den Privatfahrer Kurt deshalb nicht möglich. Und: „Verdient habe ich dabei nichts.“
Zur Einstimmung zeigt Ahrens einen dynamischen Schwarzweiß-Film, 1000 Kilometer-Rennen Nürburgring-Nordschleife im Jahr 1970. Die flachen, offenen Porsche 908/3 und 908/2 Spider im Duell mit den großen Ferrari 512 und den ersten Porsche 917, dazwischen die kleinen Chevron und einige Serien-GT wie Porsche 911 und Renault Alpine, insgesamt 55 Autos. Es siegen Vic Elford und Kurt Ahrens vor Hans Hermann und Richard Attwood, beide Teams in jeweils einem der ultrakompakten 908/3. In Interviews freuen sich Fahrer wie auch Ingenieure darüber, dass die Sportwagen jetzt schnellere Rundenzeiten fahren als die Formel 1-Autos. Porsche-Pilot Elford kann sich das nicht erklären und meint dazu im Film: „Das ist mysteriös“.
Heute wäre diese Aussage im Zeitalter von Computer-Simulationen einschließlich Windkanal-Messungen unvorstellbar. Dafür gab es damals den mit fast allen Rennsport-Disziplinen vertrauten Kurt Ahrens, der als Renn- und Testfahrer noch keine „Hirnarbeit“, sondern harte „Muskelarbeit“ leistete, auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Zunächst zusammen mit seinem Vater gleichen Namens, später als Werksfahrer bei Porsche. Seine Laufbahn, berichtet er im WAC-Clubhaus, beginnt mit dem Erhalt des Führerscheins. Er geht damit im Jahr 1958 gleich zum ersten Rennen auf die Trab-Rennbahn von Hamburg-Farmsen. Formel Junior-Monoposto auf einer Sandbahn! Sein stärkster Gegner: Kurt Ahrens sen., Hobby-Rennfahrer aus Leidenschaft.
Kurt jun. Erinnert sich: „Am Start standen zwei Autos, beide von meinem Vater. Ich fragte ihn: Wieso? Er meinte nur: Der Zweite ist für Dich.“ Aber Überholen darf er seinen Vater nicht. Anfangs fährt das Ahrens-Duo noch die italienischen Stanguellini mit Frontmotor, wechseln aber dann auf die schnelleren Mittelmotor-Monoposto von Cooper. Allerdings entfernt man die schwachen BMC/Austin- Aggregate und ersetzt sie durch kräftigere Fiat-Motoren. Das Vater-Sohn-Team reist im eigenen Transporter durch Europa, begleitet von einem Fahrer und Service-Mann. „Aber die Technik am Auto machten wir immer selbst“. Einziger Sponsor ist die Kraftstoff-Marke Caltex: „Die stellten uns damals einen Tank mit 10 000 Liter Benzin auf das Firmengelände in Braunschweig. Und das war’s auch.“
Kurt jun. gewinnt dreimal den deutschen Meistertitel der Formel Junior, die 1964 in die technisch komplexere Formel 3 aufgeht. Was Kurt im Formel 3 tatsächlich drauf hatte, zeigt das Starterfeld des Formel 3-Nationen-Cup in Hockenheim 1967. Wir entdecken die Namen Clay Regazzoni, Ronnie Peterson, Derek Bell, Henri Pescarolo, Patrick Depailler und einige mehr, die später als Profis im internationalen Rennsport Karriere machten. Kurt Ahrens steht auf Startposition fünf und gewinnt das Rennen. In der Formel 2 duelliert sich Ahrens dann mit Newcomern wie Jacky Ickx, Chris Amon und Jochen Rindt, der von Vater Ahrens unterstützt wird. „Ich mochte den Jochen sehr, er ist perfekt gefahren und hat sich über das Risiko nie Gedanken gemacht“, erinnert sich Ahrens an seinen Brabham-Markenkollegen. Und er habe ihm, wenn mal wieder aus Zeitmangel das Training ausfiel, die zur Rennstrecke passende Getriebe-Übersetzung verraten.
Ein kurzer Ausflug in die Formel 1 findet 1968 unter schlechten Voraussetzungen statt. „Jack Brabham hat angerufen, man bringt ein drittes Auto an den Nürburgring, ob ich es beim Grand Prix fahren könnte“, erzählt Ahrens. Doch aus den versprochenen Testfahrten in Goodwood wird nichts. Das Rennen findet im strömenden Regen statt, der zerbrechliche Heckflügel am Brabham-Repco BT24 kippt nach hinten und erzeugt Auftrieb. Ahrens fällt von Platz sieben zurück und wird immerhin Zwölfter. Jackie Stewart gewinnt vor Graham Hill und Jochen Rindt die legendäre Regenschlacht. Ahrens heute: “Die Formel 1 und das Risiko war mir zu hoch, ich wollte nicht, dass mich die Rennerei auffrisst“. Doch dann war da noch Porsche.
In Zuffenhausen ist man auf das Racing-Multitool Ahrens inzwischen aufmerksam geworden, das auch in Abarth-Sportwagen mit 1300 und 1600 Kubikzentimeter viele Klassensiege erzielte. Im Porsche Werksteam ist Ahrens bei vielen Rennen Partner von Hans Herrmann, den er bereits aus früheren Renneinsätzen kannte und nun sein bester Freund wird. Die größten Siege feiert Ahrens aber an der Seite anderer Werkspiloten. So gewinnt er 1969 mit Joseph Siffert im Porsche 917 (mit verkürztem Langheck) die 1000 Kilometer von Österreich beim Eröffnungsrennen der neuen Rennstrecke in Zeltweg.
Zunächst schien der speziell für Le Mans entwickelte Langheck-917 mit verstellbaren Mini-Heckflügeln unfahrbar. Ahrens erinnert sich: „Ab 390 km/h gab es kein Gefühl mehr in der Lenkung. Das Auto schwänzelte schon ab 350 km/h.“ Im Oktober 1969 ist Ahrens deshalb an den entscheidenden Versuchsfahrten in Zeltweg beteiligt, die zur erfolgreichen Kurzheckversion des 917 führten. Leider bleiben wegen technischer Probleme seine Le Mans-Einsätze mit dem Porsche 917 in den Jahren 1969 und 1970 erfolglos. Dafür gewinnt er im gleichen Jahr mit Vic Elford im Porsche 908/03, seinem „Lieblingsauto“, das 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring.
Einen schweren Unfall im April 1970 auf der VW-Versuchsstrecke in Ehra-Lessien überlebt Ahrens mit unfassbar viel Glück. Sein Porsche 917 schlägt wegen Aquaplaning mit rund 250 km/h in die Leitplanken ein und rutscht mit der Frontpartie darunter. Die Fahrzeugfront wird auf einer Strecke von etwa 100 Meter bis zum frei gelegten Fahrersitz komplett zerrissen. Den Crash überlebt Ahrens ohne Schuhe und ohne Verletzungen. Einige Reifenplatzer bei den Rennen im brachial motorisierten 917 und unverschuldetes Pech nähren erste Zweifel am Motorsport. Beim 1000-Kilometerrennen in Zeltweg geht dem führenden Porsche 917K von Kurt Ahrens und Helmut Marko (heute Motorsport-Berater bei Red Bull) unterwegs das Benzin aus, ein Rechenfehler der Boxen-Crew, der heute noch weh tut: „Das sollte einfach nicht passieren.“
Ahrens hört deshalb Ende 1970 als 30-Jähriger mit dem Rennsport nahezu komplett auf. Vielleicht auch ein Grund, weshalb er diesen fulminanten, bilderreichen Vortrag im WAC überhaupt leisten konnte. Die Liste der dabei erwähnten tödlich verunglückten Teamkollegen und Konkurrenten ist lang: Clark, Depailler, Mitter, Peterson, Rindt, Siffert, Stommelen, um nur die Bekanntesten zu nennen. Mit allen Rennfahrer-Kollegen, betont Ahrens mehrmals, sei er immer bestens ausgekommen. Doch das Risiko war hoch: „Die Profis fuhren eben auf 110 Prozent, die gaben alles. Wir Privatfahrer hatten aber noch eine Firma oder eine Familie, die auf uns warteten.“