CLASSICS
Spitzenklasse: Vor 45 Jahren
feiert der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9
seine Premiere
Der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 wurde 1975 zum neuen Topmodell der S-Klasse. Neben dem 6,9-Liter-V8 waren vor allem die hydropneumatische Federung und der Ausstattungsumfang bemerkenswert.
- Der Achtzylindermotor mit 6,9 Litern Hubraum und 210 kW (286 PS) ermöglicht eine Spitzengeschwindigkeit von 225 km/h
- Mutige Vorstellung im Schatten der Ölkrise
- Presseschau: Das „beste Auto der Welt“ und ein Zeugnis von „Zivilcourage“ sowie „Zukunftsoptimismus“
Stuttgart. Ein klares Leistungsbekenntnis vor 45 Jahren: Mercedes-Benz stellt im Frühjahr 1975 das neue Spitzenmodell 450 SEL 6.9 der Baureihe 116 vor. Die Hochleistungslimousine gehört damals zu den schnellsten Fahrzeugen überhaupt, nur ganz wenige Sportwagen erreichen zu jener Zeit ein noch höheres Tempo. Heute ist sie ein gesuchter Klassiker. „Der 450 SEL 6.9 ist eine Ikone der Marke“, sagt Patrik Gottwick, Leiter von ALL TIME STARS, dem eigenen Fahrzeughandel von Mercedes-Benz Classic. „Gerade mit dem 6,9-Liter-Motor M 100 ist die Baureihe 116 mittlerweile sehr gefragt am Markt. In den vergangenen Jahren können wir eine deutliche Nachfragesteigerung feststellen, und auch jüngere Auktionsergebnisse zeigen eine Wertsteigerung für den 450 SEL 6.9. Gründe hierfür sind seine hohe Fahrkultur, die Alltagsqualitäten als Klassiker und die sehr geringe Stückzahl von gerade einmal 7.380 gebauten Fahrzeugen.“
Das Topmodell: Die S-Klasse der Baureihe 116 wird im September 1972 vorgestellt. Vom Start weg erhält sie zahlreiche Preise. Dazu gehört die Wahl des 450 SE zum „Auto des Jahres“ 1974. Das Topmodell 450 SEL 6.9 rundet drei Jahre später die mit dem 280 S beginnende Modellpalette nach oben ab. Schon der Vorgänger 300 SEL 6.3 setzt mit 184 kW (250 PS) einen Spitzenwert im Segment der Luxuslimousinen.
Motor mit Geschichte: Die technische Basis des großvolumigen Achtzylinders stammt aus dem legendären Mercedes-Benz 600 (Baureihe W 100). Allerdings wird bei gleichem Hub die Zylinderbohrung von 103 auf 107 Millimeter nochmals vergrößert. So entsteht beim 450 SEL 6.9 ein Hubraum von 6.834 Kubikzentimetern. Der Motor leistet 210 kW (286 PS) bei 4.250 U/min und erreicht sein maximales Drehmoment von 550 Newtonmetern bei 3.000 U/min. Dieses hohe Drehmoment erlaubt den Einbau einer sehr „langen“ Hinterachsübersetzung (2,65). Das senkt die Motordrehzahl und damit den Geräuschpegel. Die Ingenieure achten sogar auf die Wartungskosten: Der hydraulische Ventilspielausgleich macht Nachstellarbeiten überflüssig. Dank einer neu entwickelten Zylinderkopfdichtung entfällt das sonst übliche Nachziehen der Zylinderköpfe. Die Trockensumpfschmierung samt einem auf zwölf Liter vergrößerten Ölhaushalt macht ein Ausdehnen der Ölwechselintervalle auf 15.000 Kilometer möglich. Das Dreigang-Automatikgetriebe stammt im Prinzip aus den 4,5-Liter-Modellen, ist aber der Leistung und dem stärkeren Drehmoment des „6.9“ angepasst.
Mit Gas gefedert: Bei der Federung beschreitet Mercedes-Benz einen ganz neuen Weg. Nach der Luftdruckfederung des 300 SEL 6.3 erhält der 450 SEL 6.9 eine Hydropneumatik inklusive Niveauregulierung. Vier Federelemente übernehmen zusätzlich die Aufgabe der Stoßdämpfer. Eine Druckölanlage gleicht das Ölvolumen in den Federbeinen aus. Als Ergebnis bleibt das Fahrzeugniveau konstant, und es steht immer der volle Federweg zur Verfügung. „Mit dieser Neuerung wurde eine optimale Verbindung von hervorragenden Fahreigenschaften und höchstem Komfort in allen Geschwindigkeitsbereichen erzielt“, beschreibt die Presseinformation vom April 1975 das herausragende Fahrverhalten.
Daten zum Wagen: Die Leistungswerte sind überaus beeindruckend für den Stand der Automobiltechnik vor rund fünf Jahrzehnten. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 225 km/h, sie wird bei Tests der Fachpresse sogar häufig übertroffen. Die Beschleunigung von null auf 100 km/h liegt bei 7,4 Sekunden. Leer wiegt der „6.9“ 1.935 Kilogramm. Der DIN-Verbrauch wird 1975 mit 16 Litern bei 110 km/h angegeben. Die Breitreifen von damals haben im Vergleich zu heute die bescheidene Dimension von 215/70 VR 14.
Stückzahl und Preis: Zwischen 1975 und 1980 werden in Sindelfingen insgesamt 7.380 Fahrzeuge des 450 SEL 6.9 hergestellt. Die Preisliste Nr. 16 mit Datum vom 28. Januar 1976 nennt 69.930,00 DM als Grundpreis des Spitzenmodells der Baureihe 116. Zum Vergleich: Das Einstiegsmodell der Baureihe 116, der 280 S, kostet 28.848,90 DM. Und der Mercedes-Benz 200 der Baureihe W 115 ist 1976 für 18.381,60 DM zu haben.
Ausstattung: Serienmäßig an Bord des 450 SEL 6.9 sind Annehmlichkeiten wie Klimaanlage, wärmedämmendes Glas, heizbare Heckscheibe, Zentralverriegelung, Tempomat, elektrische Fensterheber, Scheinwerfer-Reinigungsanlage, Velourspolster und auch Automatik-Sicherheitsgurte sowohl an den Vordersitzen als auch im Fond. Selbstverständlich gibt es Ausstattungsoptionen, beispielsweise das elektrische Schiebedach (987,90 DM) und das hochexklusive Autotelefon Becker AT 160 S (13.542 DM).
Tradition: 1972 stellt Mercedes-Benz die neue S-Klasse mit den Typen 280 S, 280 SE und 350 SE vor. „S-Klasse“: Diese Bezeichnung wird erstmalig verwendet. Mit ihr prägt die Stuttgarter Marke die Ober- und Luxusklasse und sie wird zum Inbegriff von Luxus, Komfort und Sicherheit werden. Dieses Segment besetzen seit Beginn des 20. Jahrhunderts Fahrzeuge von Mercedes-Benz und den Ursprungsmarken.
Positionierung: Schon damals ist die Erweiterung des Programms nach oben durch Modelle mit 4,5- und 6,9-Liter-Motoren vorgesehen. Die Typen 450 SE und 450 SEL kommen im Frühjahr 1973 auf den Markt, Anfang 1974 die Modelle 280 SEL und 350 SEL mit einem um 100 Millimeter längeren Radstand und entsprechend größerem Fußraum für die Fondpassagiere. Bei der Vorstellung des „6.9“ in Le Hohwald in Frankreich im Mai 1975 sagt Professor Hans Scherenberg, Vorstandsmitglied der damaligen Daimler-Benz AG und Chef der Gesamtentwicklung und Forschung: „Als Spitzenmodell der S-Klasse und Nachfolger des luftgefederten 300 SEL 6.3 dürfte der 450 SEL 6.9 auch verwöhnten Ansprüchen gerecht werden.“
Ölkrise: Im Herbst 1973 wird in Westdeutschland zum ersten Mal die Abhängigkeit von den arabischen Staaten bei Öllieferungen deutlich. Die OPEC drosselt die Erdölförderung, und die Preise für Benzin und Diesel steigen rasant. Das hat Folgen: Beispielsweise gilt in Deutschland am 25. November 1973 und an den folgenden drei Adventsonntagen bundesweit ein Fahrverbot. Doch selbst in der kritischen Phase der Automobilindustrie in den Jahren 1973/74 – bei allgemein stagnierenden oder rückläufigen Auftragseingängen – kann Mercedes-Benz steigende Verkaufszahlen verzeichnen. Allerdings wird die Markteinführung des 450 SEL 6.9 um einige Monate verschoben.
Kritiker-Lob: Die Schweizer „Automobil Revue“ ordnet den mutigen Schritt von Mercedes-Benz zur Vorstellung dieser starken Limousine so ein: „Es ist erfreulich, dass gerade in der heutigen Zeit ein Auto erscheint, das allerhöchsten Fahrgenuss für den Kenner – und zwar bei jedem Tempo – bietet. Der 6.9 zeugt nicht nur vom Zukunftsoptimismus, zu dem sich seine Verantwortlichen bekennen, sondern auch von Zivilcourage.“ Das Testurteil des britischen Magazins „Motor“: „Nur ein Wort fasst es zusammen: fabelhaft!“ („There is only one word to sum it all up: fabulous!“). Und „auto motor und sport“ titelt in Heft 21/1975 schnörkellos „Das beste Auto der Welt“ und schreibt im Untertitel „Der 450 SEL 6.9 setzt neue Maßstäbe in der automobilen Spitzenklasse“.