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In der Autobranche braut sich ein
Sturm zusammen

In der Autobranche braut sich ein Sturm zusammen Wie kann Deutschlands Autoindustrie die Krise hinter sich lassen? Experten sind sich einig: Politik und Industrie müssen an vielen Stellschrauben drehen.

Foto: Frank Schwaibold

Wie kann Deutschlands Autoindustrie die Krise hinter sich lassen? Experten sind sich einig: Politik und Industrie müssen an vielen Stellschrauben drehen.

Von Frank Schwaibold

Stuttgart. Die Autoindustrie ist in Aufruhr, und für ein Autobauerland wie Baden-Württemberg gilt das ganz besonders. Egal, ob Strafzölle rund um E-Autos, geopolitische Spannungen und Handelskonflikte weltweit, KI-gestützte Automatisierung: Die Probleme und Herausforderungen  liegen auf der Hand. Für den Präsident des Württembergischen Automobil Clubs (WAC), Bernd Schlossnickel, steht fest: „Ein Subventionskrieg mit China bringt uns nicht voran.“ Die Europaabgeordnete Professorin Andrea Wechsler (CDU) aus Pforzheim, meint ebenfalls: „Deutschland braucht den chinesischen Markt. Unsere Autoindustrie ist ganz anders aufgestellt als die französische Autoindustrie.“ Gunter Rieck Moncayo von der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt: „Dazu kommen noch schlechte Standortbedingungen, zu hohe Energiepreise, eine zunehmend dirigistische Politik und seit Covid auch Störungen in den Lieferbeziehungen“. Der Handelsexperte fürchtet: „So braut sich der perfekte Sturm zusammen.“

Auch bei den Innovationen ist Deutschland nicht mehr spitze. Was auch an zu viel Bürokratie und überhöhten moralischen Ansprüchen liege. Andrea Wechsler ärgert das: „Wir haben in der EU keinen einzigen führenden KI-Konzern. Aber wir haben das erste Gesetz erlassen, das KI reguliert. “ In Ländern wir den USA und China sei das „lediglich ein Jugendschutzgesetz“. Björn  Noack, Direktor für nachhaltige Mobilitätsstrategie bei Bosch, führt ein anderes Beispiel an, wie sich Deutschland und die EU selbst im Weg stehen. „Wenn in China ein selbstfahrendes Auto einen Menschen totfährt, dann klären die Chinesen ganz nüchtern, wer mehr Menschen totfährt: das Roboterauto oder der Mensch hinterm Steuer!“  Wenn aber in der EU ein Roboterauto einen Menschen totfahren würde, „dann wäre sofort das Thema tot“.

Der Designexperte Professor Johann Tomforde, der unter anderem einst die Marke Smart für Daimler aufbaute, führt noch einen weiteren Punkt an, woran die Automobilwirtschaft krankt. „Wir müssen wieder Autos für europäische Verhältnisse machen.“ Die Autos seien heute zu groß und schwer, oft technisch überfrachtet und zu teuer, denn 80 Prozent der Zusatzfunktionen „nutzt kaum jemand“. Dazu komme, dass sich die Betriebs- und Sekundarkosten innerhalb von drei Jahrzehnten verdreifacht hätten. Tomforde: „Früher konnte man einen Stoßfänger eins zu eins für 400 D-Mark ersetzen. Heute braucht man ein komplett neues Frontend für ca. 1500 Euro mit allen integrierten Funktionen, die bei einem Bagatellschaden betroffen sind. Die Versicherungen lassen es uns spüren“

Wie es auch anders geht, zeigt für viele Experten der chinesische Markt. Der Politikberater Rieck Moncayo attestiert ihnen, dass die Asiaten ihre Strategie erfolgreich geändert hätten. „Sie haben gelernt, den Meister nicht mehr zu kopieren.“ Die Chinesen seien „weg vom Verbrenner hin zu neuen Antrieben“. Bei den E-Autos hätten sie nun eigenes und hervorragendes Know-how. Zudem attestiert er ihnen „eine kluge Subventionspolitik. Da haben die Chinesen den besseren Riecher als wir“. In Deutschland würde die Politik „Krisenbranchen subventionieren“. Die Chinesen dagegen unterstützten Branchen, „in denen sie bei den Rohstoffen selbst die Hand draufhaben“.

Was also müsste in Deutschland und der EU besser laufen, damit die Autoindustrie gut in die Zukunft steuert? Der Draghi-Bericht im September habe „einen klaren Fokus aufgezeigt“, betont die CDU-Politikerin Wechsler. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank und italienischer Ministerpräsident hatte im Auftrag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ideen für die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgelegt und festgestellt.  „Das Thema Wettbewerbsfähigkeit muss wieder absolute Priorität bekommen.“ Keiner in der EU habe ein Interesse daran, „den Green deal zu schleifen, aber er muss besser gemacht werden“, leitet Wechsler daraus ab.  Er müsse zu einem „clean industrial deal“ weiterentwickelt werden.

 Ebenfalls fatal sei, dass in der letzten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments 12.000 Rechtsakte verabschiedet wurden. Die Unternehmen erstickten in bürokratischen Vorschriften. Die Professorin für Wirtschaftsrecht fordert: „Das müssen wir entbürokratisieren.“. Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg sei zudem, dass „Energie in Europa wieder günstiger werden muss“. Da die EVP jetzt die Mehrheit im Europaparlament stelle, ist sie zuversichtlich, dass die Weichen neu gestellt werden. Dazu gehöre auch, „das Verbrenner-Aus nochmal in den Blick zu nehmen, in dem man eine komplette CO2-Ökobilanz aufstellt und somit einen ehrlichen Fußabdruck für alle Antriebsarten ermittelt.“

Aber auch die Industrie muss nachlegen. Fahrzeughersteller wie Tesla und Niu „bringen ihre Ladeinfrastruktur für ihre E-Autos gleich mit“, sagt Noack. „Wir aber sind für dieses Geschäftsmodell noch nicht fit.“ In Deutschland sei die Aufteilung zwischen reinen Autobauern und reinen Tankstellenbetreibern fest in den Köpfen verankert. Für den Bosch-Direktor steht zudem fest: „Die Wachstumsmärkte für Autos liegen in den muslimisch geprägten Ländern der Welt und nicht mehr in den USA oder in Europa.“

Johann Tomforde, der schon immer einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, betont: „Autos müssen der jeweiligen Kultur und dem Verkehrsumfeld angepasst werden. Wir können nicht jedem ein Weltauto aufzwingen.“ Und die individuelle Art der Mobilität sollte auch Freude bereiten und Emotionen wecken. Mit einem Schmunzeln erzählt er deshalb eine Anekdote, wie er einst die Mercedes-Bosse vom Smart überzeugen konnte. Er lud 1997 den Vorstand nach Paris zur Jungfernfahrt ein und ermunterte sie, auf der Champs Elysees und den mehrspurigen Stadtautobahnen mit den wendigen Smarts zügig die Fahrstreifen zu wechseln. Die Chauffeure, die in den S-Klassen die Prototypen-Kolonne begleiten sollten, waren schnell abgehängt. Als sie dann bei den Zwischenstopps auch immer gleich einen Parkplatz für die kleinen Flitzer fanden, waren die Mercedes-Chefs spätestens jetzt davon überzeugt, dass der Smart ein perfektes Stadtauto ist.  

Quelle:  Reutlinger General-Anzeiger

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