MOBILITÄT

Jetzt bloß nicht am Rad drehen

Kein Schwindel: Wo der Windpark Cottbus-Nord steht, war früher ein Braunkohlerevier

Sollte Frank Quickert oder Daniel Thümmler an ihrem Arbeitsplatz in hundert Meter Höhe etwas zustoßen, kann ihnen niemand helfen. Außer sie sich selbst.
Eine Geschichte über die Energiewende – aus allernächster Nähe

Das mit dem Romantiker, »das streichen wir mal besser«, sagt Daniel Thümmler und lacht. Dabei hat er sich gerade verraten, als er erzählte, was an seinem Job er einzigartig und wunderbar findet. Frühmorgens, wenn er oben steht und die Sonne auf die Wolken scheint. Ja, das sei ein besonderes Gefühl. Sein Kollege Frank Quickert dagegen mag es, wenn bei Nebel nur das Blinken der roten Lampen, der »Flugbefeuerung«, zu sehen ist. Und die Stimmung, wenn er da oben allein ist mit sich und dem Wind.

Der Elektroinstallateur Daniel Thümmler, 35, und der Mechaniker Frank Quickert, 40, haben einen der wenigen noch sehr abenteuerlichen Arbeitsplätze in Deutschland. Sie sind als Monteure für Wartungen und Reparaturen zuständig. Klingt erst mal harmlos. Nur eben sind sie das auf einem Windrad. In bis zu 166 Meter Höhe – denn so hoch sind die derzeit höchsten Windkraftanlagen, wie sie korrekt heißen. Die Höhe ist das eine, aber was man weniger vermutet: Die beiden sind, obwohl mitten in der Zivilisation, fast völlig auf sich gestellt. Wenn ihnen dort oben etwas passiert, müssen sie ihr eigener Feuerwehrmann und ihr eigener Sanitäter sein. Die beiden arbeiten für die Vestas GmbH, deren dänische Muttergesellschaft der weltgrößte Hersteller von Windkraftanlagen ist. Ihr gemeinsamer Chef am Servicestandort Kolkwitz bei Cottbus heißt Karsten Bandow, ein runder Mann mit einem kichernden Lachen wie in alten CartoonFilmchen. »Es kommen jetzt interessante Jahre, denn Windkraft wird immer günstiger und effizienter. Das ist eine coole Technik, die macht Spaß«, sagt er. Und das, obwohl er in einer Gegend lebt, wo viele Familien noch aufs Engste mit der Braunkohle verbunden sind. Davon zeugt auch das nahe Kraftwerk Jänschwalde, das drittgrößte in Deutschland. Aber zur Braunkohle hat Bandow eine klare Vorstellung: »Irgendwann muss man mal anfangen, den Kopf einzuschalten.« Der fossile Brennstoff sei doch reichlich rückwärtsgewandt und vor allem schädlich. In hundert Meter Höhe sieht man, was Bandow meint. Am Horizont erzeugt Jänschwalde dichte weiße Wolkenberge, davor sind die Furchen und Narben in der Landschaft zu sehen, die der jahrzehntelange Braunkohleabbau gerissen hat. Kilometerlange geometrische Muster. Wie zarte Pflänzchen der Zukunft ragen dort aber jetzt die wolkenweißen Windräder empor. Der Nadelwald wäre schöner ohne; aber wenn schon, dann wenigstens umweltfreundlich. Und ruhig. Selbst wenn man direkt da runtersteht, ist nur ein leises Streifen zu hören, wie wenn man mit der Handfläche über eine Tischplatte streicht. Insgesamt zwölf Windräder vom Typ V90 stehen hier, Nabenhöhe 105 Meter, Länge der drei Rotorblätter je 45 Meter. Sie bilden den Windpark Cottbuser See, der übrigens den Allianz Capital Partners gehört (siehe Zahl und Interview rechte Seite). Der Park ist das Einsatzgebiet von Frank Quickert und Daniel Thümmler, weil Vestas sich auch um den Betrieb und die Wartung solcher Anlagen kümmert. Heute stehen Routine arbeiten an. Ein Lämpchen an der Flugbefeuerung ist aus gefallen.

U-Boot-Atmosphäre: Das Maschinenhaus eines Windrads ist eng und gefährlich:
Es könnten tödliche 690 Volt anliegen

Erst mal umziehen: den neongelben Anzug an, dazu Helm und Brille, die PSA, die »Persönliche Schutzausrüstung«, das Geschirr, mit dem sie sich oben wie Kletterer einhängen können. Sie müssen penibel sein, kein Wunder, dass alles fast 15 Minuten dauert. Dann geht es nach oben. Modernere Anlagen haben eine Art Lift, einen Transportkorb, klein und wacklig. Zusätzlich gibt es eine Leiter, die senkrecht nach oben führt. Die zu nehmen, würde an Leistungssport grenzen, gerade bei den höchsten Anlagen. Auch ein durchtrainierter Kerl wie Frank Quickert sagt: »Die letzten 30 Meter merkst du.« Oben angekommen, windet man sich durch eine Luke, über der sich der kleinwagengroße Generator befindet. Unter dem muss man bäuchlings durchrobben. Überflüssig zu sagen, dass man auch hier nicht besonders füllig um die Hüften sein sollte. Die Enge ist bedrückend wie in einem UBoot, kein Platz wird vergeudet. Es riecht nach Maschinenöl und Schmiere. Die Leichtigkeit, die so ein Windrad von unten ausstrahlt, weicht industriellem Ambiente. Und dann die Hitze: Der Generator strahlt Wärme ab. »Im Winter ist das der beste Platz«, sagt Quickert. Im Sommer allerdings nicht, dann schwitzen die Monteure viel Flüssigkeit aus. Das ist gut, denn ein Klo gibt es hier oben natürlich nicht. Falls einer muss, wird die Luke geöffnet.

Versicherungsprinzip: Daniel Thümmler (re.) und Frank Quickert schützen sich gegenseitig.
Mit Seil und Karabiner

Die erste Lebensgefahr, der die beiden stets ausgesetzt sind, ist unsichtbar und geräuschlos. »Wenn wir hochkommen, und es riecht nach Strom, dann sind wir schon mal sehr vorsichtig«, sagt Frank Quickert. »Wenn am Schaltschrank 690 Volt anliegen, dann liegen die da an«, sagt er lakonisch. In all den Schulungen, die sie absolvieren mussten, war das immer wieder das Erste, was sie hörten: »Spannungsfreiheit feststellen.« Er sagt es dreimal, es ist ihr Mantra. Nicht weniger lebensgefährlich: »In eine Routine reinkommen, zu denken: Ach, der Kollege, der hat das sicher schon abgestellt.« Niemals dürfe das passieren. Und dann die Arbeiten oben auf dem Dach, auf dem nur eine fingerdicke Leiste in Fußhöhe entlangläuft, an der sie sich mit den Karabinerhaken einklinken. Es sind zwei Haken, wovon stets einer eingehängt bleibt. Karsten Bandow erinnert ungern an einen Fall anderswo, wo ein Arbeiter sich nicht anseilte und durch die Luke stürzte. Er überlebte es nicht. In Bandows Region allerdings war ein Armbruch der schlimmste Unfall. Wenn so etwas trotz aller Vorsicht passiert, müssen die Monteure sich selbst helfen. Es würde viel zu lange dauern, bis Sanitäter oder Feuerwehr da wären. Zumal die Rettungskräfte auch ohne Einweisung oft gar nicht nach oben kommen dürfen. Und so können Quickert und Thümmler einen Armbruch schienen oder eine starke Blutung stillen. Sie können eine Herzdruckmassage durchführen. Sie können Feuer löschen, mit allen denkbaren Löschmitteln. Die Brandgefahr ist besonders hoch, wenn bei einer Störung Tests unter Spannung durchgeführt werden müssen, anders würde man den Fehler kaum finden. »Und wenn dann der Fehler kommt, dann kommt eben auch mal der Feuerball«, sagt Quickert. Im VestasSchulungszentrum in Hamburg wird das alles minutiös eingeübt, immer wieder. Dort gibt es einen Rauchcontainer, in dem die Monteure trainieren, in einem verqualmten Maschinenhaus blind die rettenden Handgriffe durchzuführen. Und eine Kletterhalle, in der sie üben, im Notfall den bewusstlosen Kollegen nach unten abzuseilen. Im Extremfall müssen Frank Quickert und Daniel Thümmler dem anderen ihr Leben anvertrauen. »Und deshalb«, sagt Quickert, »ist das eine sehr intensive Teambeziehung, die wir beide haben. Fast wie eine kleine Ehe.«

Wir danken unserem WAC-Firmenmitglied Rockenfeller und Pflüger für den bereitgestellten Content.

Mehr Informationen unter: www.rockenfeller-pflueger.de