CLASSICS
Mercedes 300 SL:
Wie die Design-Ikone wieder zu
ihrem Original-Lack kam.
Erst 63.000 Kilometer hatte der SL auf der Uhr, als er vom heutigen Besitzer restauriert wurde.
Ein 300 SL mit Originallack ist so etwas wie der Heilige Gral in der SL-Szene, denn viele wurden neu lackiert. Doch dieser Roadster konnte seine Farbe schließlich zurück zum Original wechseln. Aber nicht nur das macht ihn einzigartig …
Die Farbe dieses Mercedes-Benz 300 SL Roadster ist ein Statement. Mit Gelb fällt man auf, erst recht in den 50er- und 60er-Jahren. Damals überwogen Pastell wie Türkis und Pink oder skandinavische Töne in Braun und Creme. Erst allmählich setzen sich moderne, klare Farben wie Blau, Rot und Gelb durch. Daher verwundert es nicht, dass von insgesamt 1858 gebauten Roadstern nur 14 in einem Gelbton lackiert sind. Und nur drei davon in der Sonderfarbe Uraniumgelb, wie wir es auf diesen Bildern des 300 SL mit der Fahrgestellnummer 2819 sehen. Ein zweiter mit der Nummer 2576 ging 1960 an die Schwester des Shahs von Persien, wurde zwischenzeitlich komplett restauriert und vor einem Jahr für knapp zwei Millionen Dollar in Amelia Island versteigert.
Uranium. Der alte Name für das Element Uran wurde 1790 von dem Chemiker Martin Heinrich Klaproth vorgeschlagen, nachdem er das Element aus Pechblende des Erzgebirges isoliert hatte. Es war dasselbe Ausgangsmaterial, in dem Pierre und Marie Curie Radium und Polonium entdeckten. Uranoxide wurden danach bis ins 20. Jahrhundert in der Industrie benutzt, um Glas eine gelb-grüne Farbe zu geben. Das erklärt die Unterscheidung der Daimler-Lacke in Senfgelb (DB 638), Fantasiegelb, (DB 653), Zitronengelb (DB657/667) und eben Uranium-gelb (DB 662).
Man musste schon ein gestandenes Selbstbewusstsein – und damals ein entsprechendes Vermögen – haben, um seinen 300 SL in Gelb zu bestellen. So wie Heinz Kress, Jahrgang 1913, Inhaber der Max Kress GmbH Metallwarenfabrik von 1923, die neben Bürobedarf und anderem auch die Blech-Tuschkästen von Pelikan herstellte, mit denen Generationen von Grundschülern den Kunstunterricht bestreiten durften.
Kress war vernarrt in die Farbe Gelb – er liebte sie so sehr, dass er sogar den Boden und die Wände seiner Garage in dieser Farbe fliesen ließ. Das Fahrzeug wurde am 28. April 1961 ausgeliefert und bei der Kfz-Zulassungsstelle in Nürnberg am 27. April 1961 auf die Metallwarenfabrik angemeldet. Serienmäßig an Bord waren laut Datenkarte eine Varta-Batterie, Conti-Reifen und AVOG- Scheibenwischer. AVOG? Die Autotechnische Vertriebs- und Organisationsgesellschaft fertigte vor allem Kfz-Zubehör und wurde 1964 von Bosch übernommen. Als Sonderwunsch bestellte Kress noch Sicherheitsgurte von Baisch – damals eine brandneue Erfindung, die Volvo 1959 patentrechtefrei auf den Markt gebracht hatte.
Markanteste Änderung des Roadsters gegenüber dem Flügeltürer war die Eingelenk-Pendelachse, die mehr Komfort und mehr Sicherheit brachte, weil sie dem Übersteuern entgegenwirkte. Eine böse Überraschung für manche Kunden, die zu schnell in die Kurve gingen und dann beim Gaswegnehmen vom Heck überholt wurden. Optisch sind vor allem die länglichen statt der runden Scheinwerfer hervorzuheben. Und inhaltlich wurde der Tank von 130 auf 100 Liter verkleinert, um einen größeren Kofferraum im Roadster zu schaffen.
Technisch bedeutsam war die Umrüstung ab März 1961 von Trommel- auf Scheibenbremsen: Nur 489 Fahrzeuge wurden serienmäßig damit ausgerüstet, zahllose weitere später darauf umgerüstet. Der gelbe Roadster vom Frühjahr 1961 war damit einer der ersten, die bereits mit Scheiben ab Werk ausgestattet wurden. Und Heinz Kress bestellte seinen 300 SL mit dem Code 201, sprich Innenraum und Hardtop in Schwarz.
Außerdem orderte er das optionale Kofferset von HEPCO, das haargenau in den Roadster passte und bis heute in perfektem Zustand erhalten ist. Mit gutem Grund, denn die Familie Kress war reisefreudig. Mit seiner Frau Ingeborg und den Kindern Max und Jeanette unternahm Heinz Kress nicht nur Ausfahrten an den Tegernsee, sondern richtig lange Touren.
Darunter ist eine rund 1800 Kilometer lange Reise von Nürnberg nach Paris im Jahr 1962 – damals musste der bereits 17-jährige Sohn auf dem Schoß der Mutter mitfahren, weil er unbedingt mit nach Paris wollte. An der Seine entstanden dann jene Bilder vor dem Eiffelturm, so wie es der legendäre Fotograf und SL-Liebhaber David Douglas Duncan schon 1956 einmal vorexerziert hatte.
Ende der 1960er folgte dann so etwas wie die Erbsünde – Heinz Kress ließ den Roadster in Weiß überlackieren. Angeblich wegen des Gespötts über die Postlerfarbe, berichtet sein Sohn Max. Die Arbeit wurde professionell bei Mercedes in Nürnberg ausgeführt, selbst Holme und Scharniere wurden weiß. Doch Kress bereute es schnell und fuhr den SL nur noch selten, bevor er 1973 mit erst 60 Jahren starb.
Text Ulrich Safferling // Fotos HK Engineering, privat