CLASSICS
Für den guten Zweck ins Unbekannte:
Project 356 World Rally Tour
Renée Brinkerhoff nimmt mit ihrem Porsche 356 an Rallyes auf der ganzen Welt teil und unterstützt dabei die Bekämpfung von Kinderhandel. Die ultimative Herausforderung erwartet sie nun in der Antarktis
„Wir besuchten ihn und sahen einen 356. Es war das erste Mal, dass ich einen zu Gesicht bekam, und das genau zu der Zeit, als ich beschloss, Rennen zu fahren“, erzählt Brinkerhoff. „Ich habe mich sofort verliebt, und mir war klar, dass ich diesen Wagen haben will.“ Kurz danach half ihr Cousin dabei, ihren späteren Rennpartner auf vier Rädern zu finden. „Ich habe mir gar keine anderen Autos mehr angeschaut“, erinnert sie sich. „Als ich diesen Wagen sah, war für mich alles klar.“
2011 erwarb sie schließlich ihren 356 und blickte nicht mehr zurück. 2012 nahm sie erstmals an der strapaziösen mexikanischen Straßenrallye Carrera Panamericana teil, bei der sie für ein Team mit einem Porsche 356 einen Teil der Strecke fuhr. Brinkerhoff hatte Blut geleckt und beschloss, im folgenden Jahr zurückzukehren und die gesamte Strecke selbst zu fahren.
Ihr 356 erfuhr einige Veränderungen, um die Bestimmungen zu erfüllen und das Potenzial des Wagens voll auszuschöpfen, sodass sie in der Rennklasse „Sport Menor“ antreten konnte. Unter anderem wurden andere Dämpfer, ein spezieller Motor, ein Überrollkäfig und eine Brennstoffzelle verbaut. Später wurde auch das Getriebe ausgetauscht: Mit fünf statt vier Gängen sollte sich der Wagen in den Höhenlagen mancher internationalen Rallyes besser fahren lassen. Doch nicht nur das Auto bedurfte einiger Vorbereitungen.
„Man muss auch erst mal das Fahren lernen, nicht wahr?“, so Brinkerhoff. „Wie fährt man einen Rennwagen?“ Um ihre fahrerischen Fähigkeiten zu verbessern, nahm sie an Trainings im Rahmen der Porsche Track Experience teil – mit dem obersten Fahrlehrer und höchstdekorierten Langstrecken-Rennfahrer der USA, Hurley Haywood, als Beifahrer. „Dank ihm bin ich am Ball geblieben und konnte eine Runde nach der anderen absolvieren. Das hat mein Selbstbewusstsein immens gestärkt.“
Alles andere als ein gewöhnliches Renndebüt
2013, im Alter von 57 Jahren, kehrte Brinkerhoff zur Carrera Panamericana zurück – dieses Mal, um in ihrem eigenen Wagen an den Start zu gehen. Die berühmte Rallye ist tief in der Geschichte von Porsche verwurzelt, denn sie diente nicht nur einem, sondern gleich zwei Modellen als Namensgeber: dem Carrera und dem Panamera, in Gedenken an die größten Siege der Marke mit dem 550 Spyder in der Anfangszeit dieses Rennens. Brinkerhoffs Ausgangslage für die mehr als 3.000 Kilometer lange Strecke war nicht gerade ideal.
Es war ihr nicht einmal möglich, ihren 356 vorher zu testen, denn der befand sich bis pünktlich zum Hauptevent noch in der Überarbeitung. Nichtsdestotrotz wurde sie nach sieben Tagen Vollgas durch Mexiko zur ersten weiblichen Siegerin ihrer Klasse gekürt. Brinkerhoff, die nie geplant hatte, an mehr als einem Rennen teilzunehmen, kehrte auch im Folgejahr nach Mexiko zurück: Bei diesem Rennen wurde sie Zweite in ihrer Klasse und belegte in der Gesamtwertung einen hervorragenden 14. Platz.
2015 fuhr sie dann erstmals unter einem neuen Teamnamen: Valkyrie Racing – benannt nach den Frauen in der nordischen Mythologie. Im selben Jahr erlitt Brinkerhoffs aber auch ihren bisher größten Schreckmoment.
„Wir wären beinahe nicht mehr nach Hause zurückgekommen. Es hat nicht mehr viel gefehlt, und wir wären diese Klippe hinuntergestürzt“, erzählt sie über den Moment, in dem die Carrera Panamericana ihr zeigte, dass sie ihren gnadenlosen Ruf verdient hat.
Es stellte sich später heraus, dass Brinkerhoffs Reifen einen um 1,4 bar zu hohen Druck hatten, als sie mit einem Notmanöver einer Gruppe von Zuschauern auswich und gegen eine Leitplanke fuhr, wodurch der Wagen schwer beschädigt wurde. Dank der Hilfe eines lokalen Porsche-Sammlers kam sie an die erforderlichen Teile, um ihren 356 wieder fahrtauglich zu machen. Trotzdem nahm sie sich ein Jahr Auszeit von Valkyrie Racing – und kehrte mit einer Mission zurück.
Das Ziel: die ganze Welt
In der Zeit nach dem Unfall führte „eine Reihe miteinander in Verbindung stehender Ereignisse“, wie Brinkerhoff es beschreibt, zu zwei wichtigen Entscheidungen. Zum einen gründete das Rennteam einen philanthropischen Zweig, Valkyrie Gives, zum Wohle bedrohter Frauen und Kinder mit einem besonderen Augenmerk auf der Bekämpfung von Kinderhandel. Zum anderen nahm ein überaus ehrgeiziges Unternehmen als „Project 356 World Rally Tour“ Gestalt an.
Brinkerhoff suchte sich sechs Rennen auf allen sieben Kontinenten aus, die sie als persönliche Herausforderung fahren wollte. Gleichzeitig sollte diese Aktion eine höhere Aufmerksamkeit für die neue Stiftung erzeugen. Als das Abenteuer immer größere Ausmaße annahm, kamen die Rallye-Experten von Tuthill Porsche in Großbritannien ins Spiel, um den Wagen entsprechend zu überarbeiten. 2017 kehrte Brinkerhoff dann auf die Strecke der Carrera Panamericana zurück.
Dieses Mal schnitt sie besser ab als bei ihrem letzten Rennen in Mexiko: Ihr gelang erneut der Sieg in ihrer Klasse und damit ein glänzender Start in ihre Welttournee. 2018 ging es für sie mit der Targa Tasmania in Australien weiter, worauf die Rally Caminos Del Inca auf bis zu 4.500 Meter Höhe in den Anden Südamerikas folgte. Im Folgejahr konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem sie 36 Tage lang durch Asien und Europa fuhr – im Rahmen der Rallye von Peking nach Paris mit einer Strecke von 15.000 Kilometern.
Doch dieser Marathon brachte für Brinkerhoff einige Probleme mit sich. Aufgrund mechanischen Versagens musste ein neuer Motor eingeflogen werden, der dank Beharrlichkeit und einiger kreativer Versandmethoden in St. Petersburg eintraf, allerdings auseinandergebaut und auf vier Koffer verteilt. Zum Abschluss des Jahrzehnts nahm Brinkerhoff dann an der East African Safari Classic Rally teil, während der es so viel regnete wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Valkyrie Racing fuhr bei diesem Rennen in Afrika als einziges Team mit einer weiblichen Fahrerin über die Ziellinie. „Der größte Lohn war für mich nicht, auf dem Siegertreppchen zu stehen, sondern die gemeinsame Erfahrung im Team und eine positive Veränderung im Leben anderer bewirken zu können, also einfach rauszugehen und andere zu motivieren“, sagte Brinkerhoff anschließend.
„Darauf kann man sich nicht vorbereiten!“
Fest entschlossen, ihre Arbeit für die Stiftung Valkyrie Gives fortzusetzen, die seit ihrer Gründung fast 170.000 Euro gesammelt hat, plant Brinkerhoff nun die Einlösung des Versprechens, das sie im Namen der Project 356 World Rally Tour gegeben hatte: den letzten der sieben Kontinente zu erobern. Hier wird sie keine jubelnde Menge erwarten, ihre einzigen Konkurrenten werden sie selbst und das Gelände sein – die Antarktis wird im Januar 2021 ein Abenteuer ins Unbekannte. Valkyrie Racing geht dorthin, wo noch nie ein Rennwagen gefahren ist.
Ihr persönliches Ziel hat sich Brinkerhoff selbst gesetzt, und es passt zu ihrer ehrgeizigen Art: 356 Meilen (das sind rund 573 Kilometer) durch die widrigsten nur vorstellbaren Bedingungen, aber bitte auch gleich mit Landgeschwindigkeitsrekord.
„Wir bereiten uns nicht vor. Darauf kann man sich nicht vorbereiten“, meint sie lachend, denn sie weiß, dass die Überraschungen, die die Antarktis für sie bereithält, nirgendwo anders nachgebildet werden können. Dennoch: „Vorbereitung bedeutet in diesem Fall, sich auf alles gefasst zu machen“, betont Brinkerhoff. Daher hat sie trainiert, auf Eis zu fahren, und diese Fähigkeit so weit wie möglich perfektioniert. Außerdem legt sie großen Wert darauf, nur die besten Leute um sich zu haben.
Als sie darüber mit Jason De Carteret sprach, der bei Polarexpeditionen sowohl auf Skiern als auch auf vier Rädern Weltrekorde aufstellte, wurde ihr schnell klar, dass er eigentlich sie befragte, um herauszufinden, ob sie für die Risiken und Gefahren der Antarktis bereit sei. Und er kam zu dem Ergebnis, dass sie es ist.
Aktuell wird der Porsche von 1956 – Brinkerhoff und das Fahrzeug haben das gleiche Geburtsjahr – vorbereitet und weiteren notwendigen Veränderungen unterzogen. Unter anderem soll die Installation einer Stange verhindern, dass das Auto in eine Gletscherspalte abrutscht. Außerdem werden Skier und Schienen die Räder ersetzen, und der Wagen erhält ein neues, hellrotes Äußeres, denn die silberfarbene Lackierung wäre zwischen Schnee und Eis praktisch nicht mehr sichtbar, was Film- und Fotoaufnahmen unmöglich machen würde.
Um über Eis zu fahren ohne einzusinken, muss der Porsche so leicht wie möglich sein. Daher wurde unter anderem die Heizung ausgebaut. Sie hätte ohnehin den arktischen Temperaturen nicht standgehalten. Nicht zuletzt arbeitet Valkyrie Racing an der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten, beispielsweise durch die Anbringung von Solarmodulen an der Gletscherspalten-Stange. Außerdem wird das Team Emissionskompensationen nutzen, um die gesamte Project 356 World Rally Tour CO2-neutral zu gestalten.
Und als wären Rennfahrten in einem Oldtimer nicht schon Herausforderung genug, legte sich ihnen noch ein Stolperstein in den Weg, mit dem niemand gerechnet hätte. Von der Corona-Pandemie wurde die ganze Welt getroffen. Insofern verwundert es nicht, dass sie auch für Sand im Getriebe des Antarktis-Plans sorgte, insbesondere im Hinblick auf die Versorgung mit Ersatzteilen und die gesamte Lieferlogistik. Brinkerhoff ist optimistisch, dass es Valkyrie Racing im Januar 2021 in die Antarktis schaffen wird. innerhalb dieses Zeitfensters ist das Eis stabil genug.
Es wird sich erst noch zeigen, was die Zukunft nach dem Abenteuer auf sieben Kontinenten für sie bereithält, aber eines ist sicher: Renée Brinkerhoff ist eine sehr entschlossene Rennfahrerin und wird auf jeden Fall noch viele weitere Kilometer hinter sich bringen. Darauf antwortet sie mit einem Lächeln: „Das ist definitiv noch nicht das Ende für mich.“