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Villa d’Este für alle.
Ein Besuch des Public Day
Villa Erba

Villa d’Este für alle. Ein Besuch des Public Day Villa Erba

Eigentlich sollte das hier ein Geheimtipp sein. Zuletzt erlebte ich den Concorso d’Eleganza Villa d’Este vor zwölf Jahren, damals noch recht bequem als geladener Journalist. Schirmherr BMW sponsorte freundlicherweise Kost und Logis sowie den Shuttle-Service im Boot. Ich besuchte auch den gleichen Concorso auf dem Nachbar-Gelände der Villa Erba, den kaum einer kennt und worüber die Medien nur selten berichten. Mein Geheimtipp. Wirklich?

Heute ist 21. Mai 2023, es geht wieder zur Villa Erba. Ich bin mit Familie jedoch als bezahlender Besucher unterwegs und suche für meinen Red Hot Station Wagon (Focus ST Turnier) verzweifelt einen Parkplatz. Obwohl wir relativ zeitig dran sind, lässt die Polizei nur noch einheimische Autofahrer und BMW-Leute in das Stadtzentrum von Cernobbio. Nachdem wir im nervigen Stop and Go von Como aus hergefahren sind, wird das Parken in Wohngebieten und auf Supermarkt-Parklätzen zum Glücksspiel. Weder die Polizei noch Hinweis-Schilder helfen uns weiter.

Dabei wollen wir doch gar nicht zur prominenten Villa d’Este, sondern nur zur Villa Erba. Der eigentliche Concorso d’Eleganza Villa d’Este und die Beurteilung der Autos durch die Jury fand nämlich bereits gestern statt. Das Areal des heutigen Luxushotels und ehemaligen Landschlosses des Bischofs von Como bietet jedoch nur Platz für die rund 60 Klassiker, für deren Betreuer, Besitzer und Familien sowie für die eingeladene Presse. Heute dagegen, am Sonntag, parken alle Concours-Autos auf dem deutlich größeren Gelände der benachbarten Villa Erba. Und für 29 Euro pro Person können die fahrenden Pretiosen von jedermann bestaunt werden. Es ist auch eine große Tribüne für die Wagen-Parade aufgebaut. Der eloquente und charmante Brite Simon Kidston wird wie am Vortag auf dem Villa d’Este-Gelände jedes Auto faktenreich vorstellen und sich mit den Besitzern unterhalten.

Wir sind drin. Endlich. Es ist inzwischen 11 Uhr 30, und die unzähligen Besucher der Villa Erba sind bereits hungrig: Lange Warteschlangen an den Imbissbuden. Viele Auto-Fans, in der Mehrzahl junge Menschen und Familien mit Kindern, müssen schon sehr früh aufgestanden und losgefahren sein, um ja nichts zu verpassen. Der Park öffnete um 9 Uhr 30. Noch immer ist der Concorso d’Eleganza Villa d’Este, denn es bereits mit Unterbrechung seit 1929 am Comer See gibt, neben Pebble Beach in Kalifornien der namhafteste Automobil-Concours der Welt. In den USA muss übrigens ein Normalbesucher für seine Ticket 475 Dollar bezahlen.

Über 9000 Besucher verteilen sich auf dem weitläufigen Parkgelände. Einige der von Smartphone-Knipsern belagerten Traumwagen bleiben leider unsichtbar. Das 70-Millionen-Dollar-Baby, ein silberner Ferrari 250 GTO, zählt dazu oder der langschwänzige Pagani Huayara Codalunga von 2022. Wird irgendwo ein Motor gestartet, sprintet das benzindunstsüchtige Publikum mit Kind und Kegel in Richtung der wohlklingenden Geräuschquelle. Für mich als bekennender Rennsport-Fan sind zwei der insgesamt acht Wertungsklassen besonders attraktiv: 75 Jahre Porsche-Sportwagen sowie 100 Jahre 24 Stunden von Le Mans. Dazu die aktuellen Design-Studien und Prototypen, die wie alle Concours-Teilnehmer selbstständig fahren müssen.

Der Run auf die Zuschauer-Tribüne setzt schon fast eine Stunde vor dem Beginn der Parade ein, die um 14 Uhr beginnen wird. Bis das erste Automobil erscheint kann man den Blick über den See bis zum anderen Ufer genießen, darauf diverse Motorboote, ein Raddampfer und die großen Tragflächen-Linienboote. Die Spannung steigt, Helfer befreien den roten Teppich von seiner Schutzfolie. Ein blauweißer Rolls-Royce 10 EX Experimental Phantom I von 1926 eröffnet die Show. Am Steuer Helmut Käs, Leiter BMW Group Classic und Präsident des Concorso.

Simon Kidston erzählt viel Interessantes zu den wirklich seltenen und meistens extravagant gestylten Sondermodellen und Rennwagen, leider nur im perfekten Italienisch. Wenigstens mit einigen der Besitzer, die häufig mit ihren Schätzen aus den USA anreisten, kommuniziert der smarte Brite auf Englisch. Le Mans-Rennwagen wie Porsche 935 oder Ferrari 250 Testarossa mit ihren auf hohen Drehzahlen angewiesenen Motoren lassen die Präsentations-Tortur mit lautem Protest-Gebrüll über sich ergehen. Simon Kidston zu einem der Teilnehmer: „Ich möchte nicht ihre Kupplung sein.“

Allerdings zieht sich die mit vielen Tanz- und Musikeinlagen angereicherte Wagen-Parade ziemlich in die Länge. Noch vor deren Ende verlasse ich die Tribüne, um am Seeufer noch einige Autos beim Zurückfahren zu den Parkplätzen mit meiner kleinen Canon Ixus 155 zu erwischen. Der Kiesweg und der See im Hintergrund bilden eine schönere Kulisse. Die Besucher sitzen hier ebenso bequem auf Bänken und Stühlen wie auf der Tribüne und lassen die röhrenden Raritäten an sich vorbei rollen. Man hört die Kommentare von Kidston aus der Ferne und wartet dann gespannt auf den nächsten Kandidaten.

Und hier noch zwei Tipps: Man sollte so lange auf dem Gelände bleiben, bis man von dem freundlich auftretenden Wachpersonal seinen Platzverweis erhält. Viele der rollenden Exponate sind noch zum Parkausgang unterwegs oder werden gerade verladen und können in Aktion bewundert werden. Übernachtungsquartiere in der Nähe von Cernobbio sollten rechtzeitig gebucht werden. Es bietet sich zum Beispiel das hoch über dem See gelegene Dorf Brunate an. Eine Standseilbahn fährt direkt nach Como zum See hinunter. Weiter nach Cernobbio geht es dann mit dem Linienschiff. Ohne Auto kein Stau, kein Stress.

Was man hier während des Concorso d’Eleganza Villa d’Este Public Day Il Festival nun im einzelnen an attraktiven „Oldtimern“ und mehr erleben konnte, zeigt hier die individuelle Bilderschau. Medien wie auto-motor-und-sport.de und vor allem die exzellente Website des Veranstalters www.concorsodeleganzavilladeste.com beschreiben detailliert die restlichen Teilnehmer-Autos. Man erhält alle Gewinner sowie die Liste der internationalen Jury-Mitglieder. Hervorzuheben wäre hier Adolfo Orsi Jr., der 1951 geborene Sohn des einstigen gleichnamigen Maserati-Besitzers. Und nun das Fazit: Es lohnt sich auf jeden Fall. Die Mutter aller Concorsi dieser Welt ist noch immer fit und attraktiv. Auch auf dem Nachbargelände der Villa Erba, aber leider kein Geheimtipp mehr.

Text & Bild: Dr. Franz-Peter Hudek